Lob für die "Hilfe von Haus zu Haus"

Prof. Paul Witt - Rektor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl:

Ein Auszug aus der Zeitschrift DIE GEMEINDE Ausgabe BWGZ 9 2010:

eine Laudatio anlässlich der Preisverleihung 

 

 

Prof. Paul Witt - Rektor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl.

Sehr geehrte Damen und Herren, 

wenn Sie bei Google den Begriff „Nachbarschaftshilfe“ eingeben, erscheinen 306.000 Einträge, darunter natürlich auch die Seite der „Hilfe von Haus zu Haus“, der Nachbarschaftshilfe in Gaienhofen. An vorderster Stelle steht die Seite von Wikipedia, auf der der Begriff „Nachbarschaftshilfe“ definiert wird. Da heißt es wörtlich: 

„Nachbarschaftshilfe bezeichnet eine gegenseitige, unter Nachbarn gewährte Form der Hilfe und Unterstützung, bei der zumeist auf Entgelt in Form einer Geldzahlung verzichtet und statt dessen Gegenleistungen in ähnlicher Form erbracht werden. 

Nachbarschaftshilfe ist üblicherweise ein gewohnheitsmäßiges und wenig formalisiertes Instrument sozialer Gemeinschaften zur Bewältigung von individuellen und gemeinschaftlichen Bedürfnissen, Notlagen und Krisen“. Wir werden im Folgenden sehen, dass einige der Merkmale dieser Definition durchaus auf die „Nachbarschaftshilfe von Haus zu Haus“ in Gaienhofen zutreffen, andere wiederum jedoch nicht.

Was verbirgt sich nun unter dem Begriff „Nachbarschaftshilfe in Gaienhofen“? Dahinter verbirgt sich ein innovatives Konzept mit dem Ziel  

• älteren, kranken und behinderten Menschen bezahlbare hauswirtschaftliche Betreuung und Begleitung zu gewährleisten, 

• ihnen dadurch die Chance zu bieten, so lange wie möglich im eigenen Lebensbereich zu bleiben und die eigene Selbstständigkeit zu bewahren, 

• pflegende Angehörigen zu entlasten, 

• Familien bei der Versorgung kranker und behinderten Angehörigen zu unterstützen, 

• verschiedene Formen der Kinderbetreuung und die Vermittlung von Tagesmüttern anzubieten und dabei 

• Arbeitsmöglichkeiten für Frauen im ländlichen Raum zu schaffen. 

Die Nachbarschaftshilfe in Gaienhofen wurde als Verein am 30. April 2003 gegründet. Zuvor waren allerdings von der Idee bis zur Umsetzung zwei Jahre intensiver Arbeit nötig. Unter dem Vorsitz von Frau Maria Hensler entstand ein Verein, der aus einer Initiative der katholischen Landfrauenbewegung in der Erzdiözese Freiburg hervorgegangen ist. Unterstützt wird das Projekt von den katholischen und evangelischen Kirchengemeinden und den politischen Gemeinden Gaienhofen und Moos, deren Bürgermeister Uwe Eisch und Hans Jäger zusammen mit Pfarrer Franz Schwörer auch im Vorstand tätig sind. Der ursprüngliche Initiator, der katholische Pfarrer Peter Betz, dem diese Art von Unterstützung von Menschen ein Herzensanliegen war, hat die Vollendung seines Lebenswerks leider nicht mehr erlebt.

Gestartet wurde mit zehn Helferinnen und Helfern und einer finanziellen Unterstützung der EU und des Landes Baden-Württemberg. Die engagierte Einsatzleitung bestand neben Frau Hensler aus Gertrud Staudenmeier und Monika Engelmann, später kam noch Manuel Grieß mit dazu, aber dazu später. 

Die Tätigkeit des heute aus 180 Mitgliedern bestehenden Vereins besteht aus 8 Tätigkeitsfeldern, dem Flagschiff der Nachbarschaftshilfe, einem Seniorentreffpunkt, der drei Tagesgruppen „Sonnenkäfer“, einem Tagesmütterprojekt, dem Babysitter-Dienst, einem Geschirrverleih, dem Mittagstisch in der Grund- und Hauptschule in Gaienhofen und im Kindergarten „Horn“. Außerdem gibt es regelmäßig Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen für Helferinnen und für Senioren.  

Heute zählen die Verantwortlichen über 52 Helferinnen und Helfer aus Gaienhofen und Moos, die jährlich in ca. 9.000 Einsatzstunden an ca. 45 Einsatzorten tätig sind. Finanziert werden die Einsätze zum einen durch einen Eigenanteil der betreuten Menschen von 10,50 € pro Stunde und zum anderen durch Spenden, Erlöse aus Wohltätigkeitsveranstaltungen, Zuschüssen etc. Der Verein versteht sich als „Nischenfüller“ und nicht als Konkurrenz zu bestehenden Einrichtungen wie z. B. der Sozialstation Radolfzell, mit welcher ein Kooperationsvertrag besteht.

Die fleißigen Helferinnen und Helfer organisieren Hilfen in Notlagen für Jung und Alt. Dort, wo die Unterstützung der offiziellen Institutionen nicht ausreicht. Sie tragen zur Betreuung von alten, kranken, behinderten und bedürftigen Menschen und Familien mit Kindern bei. Sie helfen unabhängig von Religion und Nationalität. Hilfe wird angeboten beispielsweise für kranke und bedürftige Menschen bei Einkäufen und Besorgungen. Die Helferinnen kochen, reinigen die Wohnung, pflegen die Wäsche, begleiten die Menschen zum Arzt bzw. zur Kirche, führen Gespräche, lesen vor und begleiten bei Spaziergängen. Für Familien wird hauswirtschaftliche Hilfe und Kinderversorgung angeboten. Pflegende Angehörige werden entlastet. Im Rahmen des Tagesmütterprojekts wird Kinderbetreuung vermittelt sowie eine Schulung zur Tagesmutter durchgeführt. 

Die Initiative wurde vom Ministerium für den ländlichen Raum 2006 evaluiert und als bestes Modellprojekt bewertet und zwar im Hinblick auf die Schaffung von Teilzeit-Arbeitsplätzen im ländlichen Raum.

Hintergrund der gesamten Initiative ist die Tatsache, dass im idyllisch gelegenen Örtchen Gaienhofen auf der Höri ein Drittel der Bevölkerung älter als 65 Jahre ist. Es gibt eine große Zahl von Ferienwohnungen, in denen viele ältere Menschen in der schönen Bodenseelandschaft ihren Lebensabend verbringen möchten. Angeboten wird aber nicht nur Hilfe für diese eher vermögenden oder wohlhabenden Schichten der Bevölkerung, sondern auch für sozial schwächere Familien. Bei diesen wird dann auf den Eigenanteil verzichtet, beziehungsweise dieser aus Spendengeldern finanziert.

Maria Hensler

Dies alles ist nur möglich durch ein hervorragendes Engagement des Leitungsteams und der Helferinnen und Helfer. Dem Leitungsteam steht an erster Stelle vor, Frau Maria Hensler, die Ehefrau des früheren Bürgermeisters von Gaienhofen. Frau Hensler ist nicht nur in Gaienhofen, sondern weit darüber hinaus bekannt, auch als Diözesan-Vorsitzende der katholischen Landfrauenbewegung. Die Mutter von sieben Kindern ist in dieser Funktion häufig in Baden-Württemberg und darüber hinaus unterwegs. Sie stellt die Nachbarschaftshilfe Gaienhofen auch als Modellprojekt in anderen Landesteilen und anderen Ländern vor. Es gibt bereits 20 ähnliche Projekte, die auf die Initiative von Frau Hensler zurückzuführen sind.

Gertrud Staudenmeier 
und Monika Engelmann

Mit im Bunde sind auch die Einsatzleiterinnen Gertrud Staudenmeier. Die in Gammertingen geborene Hauswirtschaftslehrerin an der Hermann-Hesse-Schule lebt seit 16 Jahren in Gaienhofen und ist jetzt neu wieder in den Schuldienst eingestiegen. Monika Engelmann ist die einzige im Bunde, die aus Gaienhofen stammt und auch in Gaienhofen geboren worden ist und daher zahlreiche Menschen in der Gemeinde kennt. Die ehemalige Verwaltungsfachangestellt, Hausfrau und Mutter von vier Kindern geht in ihrem Job voll auf. Für sie ist die Nachbarschaftshilfe fast ein Vollzeitjob geworden. Häufig ist Frau Engelmann in dem Projektbüro im Johanneshaus in der Kirchgasse 2 in Gaienhofen anzutreffen. Kenner munkeln, dass sie deswegen auch ihrem jüngsten Kind den Namen Johannes gegeben hat. 

Manuela Griß

Die dritte im Bunde der Einsatzleiterinnen ist Manuela Grieß. Die in Baden-Baden geborene Verwaltungsfachangestellte lebt seit 20 Jahren in Gaienhofen und arbeitet dort in der Kämmerei des Gemeindeverwaltungsverbandes. Ihre Aufgaben sind neben der Einsatzleitung auch die Buchhaltung des Vereins, die zwischenzeitlich Mittel in sechsstelliger Höhe zu bewirtschaften hat. Frau Grieß ist ebenfalls Mutter von zwei Kindern. 

Bürgermeister Uwe Eisch bezeichnete in einem Gespräch mit dem Verantwortlichen in Gaienhofen die Einsatzleitung als Glücksgriff. Die Frauen würden für ihren Verein leben und ein riesiges Engagement an den Tag legen. Für alle vier ist die Tätigkeit kein Beruf, sondern eine Berufung. 

Nicht umsonst wurde die Nachbarschaftshilfe Gaienhofen mehrfach prämiert und mit Preisen ausgezeichnet. So bekam sie im vergangenen Jahr den renommierten zweiten Platz beim dritten IBK-Wettbewerb (Internationale Bodenseekonferenz) für Gesundheitsförderung und Prävention. Die Initiative wurde im Jahr 2009 Preisträgerin des Wettbewerbs „Generationendialog in der Praxis – Bürger initiieren Nachhaltigkeit“ der Bundesregierung.  

Die Verleihung des Gerhard-Kiechle-Preises 2009 ist eine logische Fortsetzung der Auszeichnungen für diese erfolgreiche Arbeit. Diesen Preis stifteten Bürgerschaft und in Eichstetten tätige Firmen und Institutionen anlässlich der Zurruhesetzung des früheren Bürgermeisters der Gemeinde Eichstetten, Gerhard Kiechle. Die Stiftung wurde begründet zur Ehrung und in Anerkennung für sein herausragendes Arbeiten für eine modellhafte kommunale Zukunftsentwicklung und wird breit getragen durch das Engagement der Bürgerschaft. 

Namens der Jury, aber auch namens der gesamten Bürgerschaft von Eichstetten darf ich den Verantwortlichen der Nachbarschaftshilfe „Hilfe von Haus zu Haus“ Gaienhofen ganz herzlich danken für ihr hervorragendes Engagement. Ich wünsche Frau Hensler und allen Verantwortlichen sowie allen Helferinnen und Helfern weiterhin viel Freude bei ihrer Arbeit zum Wohle von hilfsbedürftigen Menschen und beglückwünsche Sie nochmals recht herzlich zu der hohen Auszeichnung.